Aktion Sonnenschein: Lieber Herr Zegers, Sie wurden 1983 in Nijmegen geboren, einer niederländischen Kleinstadt, die direkt an der Grenze zu Deutschland liegt.

Jos Zegers: Ich bin in Nijmegen geboren und im Heimatort meines Vaters, Kerkrade, aufgewachsen, direkt an der deutschen Grenze. Dort spricht man Kerkrader Platt, ein Dialekt, der mit dem Kölnischen Platt vergleichbar ist. Meine Mutter stammt aus Vorarlberg und wir haben zu Hause immer deutsches Fernsehen geguckt.

Im Alter von acht Jahren haben Sie begonnen, Oboe zu spielen, ein ungewöhnliches Instrument für den musikalischen Einstieg.

Ich komme aus einer Musikerfamilie, mein Vater spielt Klarinette. Er hat mir zur Oboe geraten, denn Klarinette spielen viele, Oboe aber nur wenige Musiker. Außerdem sind im Blasorchester die Oboen-Parts musikalisch interessanter als die Klarinetten-Parts.

Nach der Schule begannen Sie ein Studium der Oboe, studierten aber daneben noch Betriebswirtschaft. Hatten Sie die Befürchtung, dass ein Musikstudium alleine ein zu großes Zukunftsrisiko darstellt?

Es war genau andersherum. Schon zu meiner Abiturzeit habe ich mich sehr für Wirtschaft interessiert, das war um 2000 auf dem Höhepunkt der so genannten dotcom-Phase (Spekulationsblase um die sog. New Economy, die zu Anfang der 2000er Jahre mit einem Börsencrash platzte). Ich wollte unbedingt etwas im Bereich Finance & Information Management machen und habe mich für Betriebswirtschaft eingeschrieben. Kurz danach fand in der Musikhochschule Maastricht der Tag der offenen Tür statt und schon im Foyer konnte man aus den Proberäumen die Instrumente hören, auch eine Oboe. Der Oboenlehrer hat mich dann reingelegt: Er lud mich zu einem „Probeunterricht“ ein, tatsächlich aber war es eine Aufnahmeprüfung! Und schon war ich Student für Oboe. Nach einigen Jahren hatte sich der Fokus dann zur Musik verschoben und ich brach als fertiger Oboist mein Betriebswirtschaftsstudium ab.

Anschließend studierten Sie bis 2011 in Den Haag Dirigieren und erreichten in dieser Zeit einen Wettbewerbssieg und zwei Halbfinalteilnahmen bei internationalen Dirigentenwettbewerben. Wie kamen Sie 2016 als Chefdirigent zum Bundespolizei-Orchester München?

Ich dirigierte in Musikvereinen und merkte, dass mich das Dirigieren noch mehr in meiner musikalischen Bandbreite fördert und mein eigentlicher Traumjob ist. Über die Wettbewerbsteilnahmen lernte ich deutsche Dirigenten kennen und einer erzählte mir 2016 von der Stellenausschreibung in München. Ich kannte dort niemanden, habe mich dennoch beworben und die Stelle tatsächlich bekommen.

Für die Aktion Sonnenschein ist es großartig, dass sie durch das Bundespolizeiorchester München unterstützt wird. Was war der Auslöser für Ihr Interesse und Ihr außergewöhnliches Engagement?

Ich würde diese Aussage gerne umdrehen. Für uns ist die Zusammenarbeit mit der Aktion Sonnenschein ein Geschenk. Ich erkläre Ihnen gerne, warum. Die Bundespolizei leistet sich bundesweit drei Orchester für interne und externe Anlässe. Wir spielen oft bei Polizeifeiern, bei Ehrungen und so weiter. Aber fast noch wichtiger sind externe Anlässe für einen guten Zweck in der Öffentlichkeit. Wir repräsentieren dann die Bundespolizei nach außen. Dabei gibt es zwei Kriterien: Der Partner muss professionell organisiert sein, denn das Orchester möchte natürlich vor einem gut gefüllten Haus spielen. Und der Partner muss eine gute Pressearbeit leisten. Das sind die Multiplikatoren, mit deren Hilfe wir unsere Botschaft transportieren. Die Aktion Sonnenschein gibt uns immer beides, so bei unserer gemeinsamen Weihnachts-CD-Produktion „Krippe-Welle“, bei unserem Auftritt im Rahmen des Festaktes zum 50-jährigen Jubiläum der Aktion Sonnenschein im Prinzregententheater oder bei unserem Benefizkonzert vergangenen November in der Kirche St. Ludwig.

Gibt es denn spezielle Erlebnisse im Rahmen dieser Zusammenarbeit, an die Sie sich besonders erinnern?

Für viele der Musiker und auch mich war es ein besonderer Moment, als Dr. Jörg Dräger von der Bertelsmann Stiftung im Prinzregententheater seinen Vortrag über Inklusion im Schulwesen gehalten hat. Es war für uns ungemein wertvoll, einen so gut verständlichen Vortrag über dieses Thema hören und dabei inhaltlich so viel lernen zu dürfen. Und wir konnten alle Beiträge mit unserer Musik umrahmen, Teil eines bunten Programms sein, das erleben wir nicht alle Tage. Auch das Zusammenspiel mit den drei Schülerinnen, die den Abend co-moderiert haben, ist uns in sehr schöner Erinnerung geblieben.

Wie stehen die Musikerinnen und Musiker zum Engagement des Orchesters für die Aktion Sonnenschein?

Sie tragen das voll mit, ich höre nie eine kritische Bemerkung, im Gegenteil: Als wir mit den Proben für das Benefizkonzert in St. Ludwig begonnen haben, rief einer der Musiker, dass sich alle noch einmal die „Krippe-Welle“-CD anhören sollten, weil das „so eine coole Scheibe“ ist. Und das macht eben die Aktion Sonnenschein aus: Ihr habt uns diese CD „geschenkt“ und die ist etwas ganz Besonderes. Eben nicht – wie man im Deutschen sagt – „Null-Acht-Fünfzehn“.

Hatten Sie schon zuvor in Ihrer niederländischen Heimat mit dem Thema Inklusion zu tun? Wie wird das Thema dort gehandhabt?

Ich hatte tatsächlich vorher nie eine Berührung mit dem Thema. Und wenn ich ehrlich bin, dann kenne ich jetzt nicht einmal ein niederländisches Wort für Inklusion. Es gibt bei uns natürlich Montessori-Schulen, aber die Idee, die hinter inklusivem Lernen steht, ist zumindest mir in meiner Heimat noch nicht begegnet. Die Aktion Sonnenschein hat mir hier eine ganz neue Welt gezeigt und ich habe schon zu meiner Frau gesagt, dass ich mir sehr gut vorstellen kann, unseren jetzt zweijährigen Sohn auf eine inklusive Schule zu geben.

Soll diese Zusammenarbeit auch 2020 anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der inklusiven Montessori-Schule der Aktion Sonnenschein fortgeführt werden?

Ich möchte darauf gerne zwei Antworten geben, zuerst aus Sicht der Bundespolizei: Sie hat großes Interesse daran, sich in der Öffentlichkeit anders zu zeigen als z.B. bei Großeinsätzen. Es geht ihr ganz stark um den Gedanken der Prävention. Die Gesellschaft – natürlich nicht nur in Deutschland – polarisiert sich immer stärker, der soziale Zusammenhalt bröckelt. Das Bundespolizeiorchester spielt viel in Schulen, um die Kinder zu erreichen und ihnen zu zeigen, dass die Polizei für die Menschen da ist. Damit ist das Schuljubiläum für die Bundespolizei ein lohnender Anlass. Und jetzt noch die Antwort aus Sicht des Orchesters: Wir sind für alles offen! Denkt Euch etwas aus und wir sind bereit mitzumachen. Unsere Erfahrungen mit der Aktion Sonnenschein sind so wertvoll, wir wollen das unbedingt weiterführen, als gegenseitige Win-Win-Situation. Ihr transportiert Eure Botschaft, wir transportieren unsere Botschaft und beide Seiten gewinnen. Gibt es etwas Besseres?

(Die Aktion Sonnenschein bedankt sich bei Jos Zegers für dieses Interview)